Kaiserin von Oesterreich — Herzog Max in Bayern |
König Ludwig II. von Baiern — Kaiserin von Rußland |
Ein Artikel in der Illustrirte Zeitung, 30. Juli 1864
Die Saison in Kissingen 1864.
Kissingen, den 2. Juli.
Gnädige Frau!
Wenn ich mir heute besonders klein und ohnmächtig vorkomme, so mag es die Lage entschuldigen, in der ich mich befinde. Es ist keine Kleinigkeit für einen loyalen Menschen, unter den
ersten gekrönten Häuptern umherzuspazieren
und nicht die Contenance zu verlieren; diejenigen in nächster Nähe betrachten zu dürfen, die
wir armen Sterblichen sonst nur gewohnt sind
in flüchtigen Augenblicken, oder in respectvoller
Entfernung aus zu sehen. Von ähnlichen Gefühlen scheint auch Kissingen in dieser Saison
durchdrungen zu sein, das sich durch seine fürstlichen Curgäste weit über die anderen Bäder ge-
hoben und von seinen Schwestern mit Blicken
des Neides betrachtet sieht.
Schon – Verzeihung für den unpoetischen
Namen, mit dem ich Ihr Ohr sogleich beleidigen
werde – schon in Schweinfurt hörte ich, Kissingen sei so überfüllt, daß schwer eine Wohnung zu bekommen sei. Doch wo Zehntausend
Raum haben, kommt auch Zehntausend und
Eins unter, und ich fuhr wohlgemuth dem lieblichen Saalthal zu, dessen weltberühmter Curort mir bald seine Wunder eröffnen sollte. Bereits früh 6 Uhr füllten sich die ſchattigen Laubgänge des Curgartens. Aus dem dunkeln Grün
tauchten weiße, duftige Gewänder oder verhüllte Gestalten, alle einem gemeinsamen Ziele
zueilend, dem Rakoczi oder der Pandurquelle,
deren segenspendende Wasser in elegante Bassins gefaßt und von
einem prachtvollen gußeisernen Pavillon überwölbt sind. Einer trinkt kalt, der andere erwärmt sein Glas in heißem Wasser, man braucht auch Molken, wünscht sich „guten Morgen,“ kokettirt, chicanirt, ennuyirt sich oder affectirt einen Himmel rosenfarbenſter Laune – genau so wie in allen Bädern, dieselben Gebräuche, dieselben Gewohnheiten und Thorheiten. Ich sehe viele
empfindsame Damen, viel Hysterie, aber ebenso viel Vollblütigkeit, eingebildet und wahrhaft Kranke, Männer mit gelben Gesichtern und sauern Mienen, die, ich weiß nicht, eine Folge vom
genossenen „Säuerling“ oder von der Schneiderrechnung der
theuern Frau Gemahlin sein mögen. „Guten Morgen, meine
Gnädige, wohl geruht?“ „Ich danke.“ „Was gedenken Sie
für heute vorzunehmen, Wagen oder Eselspartie?“ „Der Abwechselung wegen wollen wir heute fahren.“ „Und ich werde,
wie gewöhnlich, ein paar Robber spielen, denn auf das Wetter
ist ohnehin kein Verlaß. Da hier sehen wir die grauen Wolken,
's ist abscheulich– à propos– gestern erschien die Kaiserin den
ganzen Tag nicht, sie muß also heute ––“ dieses interessante
Brunnengespräch wurde von dem Erscheinen der russischen Herrschaften unterbrochen, die langsam die Hauptallee heraufkamen,
und zu denen sich alsbald die Kaiserin von Oeſterreich, in Begleitung ihres Bruders und ihres Vaters, des Herzogs Max und
der jugendliche König von Baiern gesellten. Herzliches Einver-
nehmen, behagliches Sichgehenlassen, verbunden mit jener anspruchsloſen Würde, die Personen von wirklicher Machtstellung
eigen, kennzeichnete die Gruppe, welche von nun an die Situation
zu beherrschen schien.
Sowol der äußern Erscheinung nach, ich meine hier die eben so reiche wie gewählte Toilette, als der angeborenen Grazie,
verbunden mit süddeutscher Liebenswürdigkeit, bildet die Kaiserin
von Oesterreich den Brennpunkt dieses auserwählten Cirkels.
Die feine ebenmäßige Gestalt, dieses Antlitz voll milden Ernst,
mit einem leisen Anflug von Melancholie, geben ein Ganzes,
das bedeutend und hervorragend genannt werden dürfte, wäre
die Trägerin so glücklicher Vorzüge auch nicht Elisabeth von
Oesterreich. Im vollkommenſten Gegenſatz zu dieſem Typus
weiblicher Anmuth tritt uns Kaiser Alexander von Rußland entgegen, als ein Mann von imponirendem Wesen, von Ruhe und
Gemessenheit. Es liegt etwas Abgeschloſſenes, Alleinstehendes
in dieser Persönlichkeit, welche zu herrschen gewohnt ist und sich
der Regierunasſorgen nur auf Augenblicke zu entäußern scheint.
Selten weicht sein treuer Begleiter, der vielgenannte sinnländische
Hund „Tiras“, von seiner Seite, und wenn einmal, bewachen
den „Herren“ die scharfen Augen der beiden herkulischen Tcherkessen, ohne welche der Zar selten zu sehen ist. Die Kaiserin, seine
Gemahlin, können wir nicht ohne Theilnahme betrachten. Sie scheint leidend und der Blick ihres sanften Auges überfliegt nur
ein Lächeln, wenn er auf den jugendkräftigen Gestalten der Großfürstinnen weilt. Häufig sieht man die hohe Frau im Gespräch
mit Ludwig dem Zweiten von Baiern, der, als König des Landes,
auf die liebenswürdigste Weise die Rolle eines Wirthes übernommen zu haben scheint, der Alles aufbietet, seinen Gästen den
Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen.
Es ist heute kein Raum mehr, der nichtfürstlichen Curgäste
Kissingens weder in Bild noch in Wort zu gedenken. Erlauben
Sie mir dies in einer der nächsten Nummern der Zeitung nachzuholen, um unsere Saisonskizze zum Abschluß zu bringen. Ich werde
nach Pflicht und Gewissen der Perſönlichkeiten, der Toiletten,
der ephemeren Erscheinungen gedenken, die vereint wirkend, die
interessanteste Staffage zu der Hauptgruppe bildeten, welche
Kissingen einen Glanz verlieh, den der Herr Badecommissar sicher
mit goldenen Lettern in sein Hauptbuch verzeichnen wird.
Achtungsvoll der Ihrige
Herbert König.
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