„Eilf-Uhrmesse“ im Postgarten in Mittenwald Eine Zeichnung "aus der Nature aufgenommen" von Gustav Sundblad |
" [...] Das Leben in Mittenwald selbst hat nichts Cur-, Bade- oder Saisongemäßes. Es giebt dort keine künstlich hergestellten Promenaden, keine Curmuſik, Conversations- und Spielsäle, aber Alles trägt dort den Stempel der Natürlichkeit, sodaß man sich schon in den ersten Stunden heimisch fühlt. Die beigefügte Illustration– einen Sonntag-Vormittag auf der Kegelbahn des Postgartens darstellend – kennzeichnet das ungebundene Leben in Mittenwald in trefflicher Weise. Ohne sich um die im Garten weilenden Fremden zu kümmern, liegen die in dem Orte so zahlreich vertretenen Jagdgehülfen dem höchsten aller Sommervergnügungen, dem Kegelschieben, ob, und wie groß das Interesse an diesem harmlosen Spiele ist, zeigen die Mienen der Betheiligten, die mit Spannung den Resultaten jedes Wurfes entgegensehen. Der Spieler, welcher eben geschoben hat, war etwas unglücklich; die Kugel rollt vom Brette ab, und unwillkürlich sucht er mit einer gewaltigen Verrenkung seines Körpers nachzuhelfen, obschon es längst zu spät ist. Die Anderen sehen theils spöttisch, theils mit stoischer Ruhe auf die „g'feilte Kug'l“, während ein im Vordergrunde sitzender Gaſt aus der Stadt, der in dem fidelen Kreiſe günstige Aufnahme gefunden hat, beschäftigt ist, die Tiefen seines Maßkruges zu ergründen.
Diese Vormittagskneiperei belegt man mit dem Namen „Eilf-Uhrmesse“, einestheils weil sie nur am Sonntage, nach Schluß der kirchlichen Feierlichkeit, stattfinden kann, anderntheils aber, weil es für manchen leichtfertigen Hallodri die einzige Veranlassung iſs, ſich in den Sonntagsstaat zu werfen und unter der Maske der Andacht einen Ausgang von längerer Dauer zu rechtfertigen. Der Kegelbub ist zufälliger Weise auch Ministrant und hat daher am Sonntage gewiß alle Hände voll zu thun, um seine Pflichten zu erfüllen. Der Fremde aber fühlt sich durch das ungenirte Benehmen der fröhlichen Zecher nicht beengt, sondern eher angezogen, denn man hat es hier mit jener Natürlichkeit zu thun, die durch eine hervorragende Gutmüthigkeit zur wirklichen Gemüthlichkeit wird, wie man sie an dem Gebirgsvolke so sehr schätzt.
Benno Rauchenegger. "
Quelle : Auszug aus einem 1877 Artikel der Gartenlaube (" Spaziergang nach Mittenwald ")
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